Bebauungsplan Osthafen lässt negative Auswirkungen auf das Klima in angrenzenden Wohngebieten in Schierstein erwarten

Im Sommer kann es schon am frühen Morgen heiß werden am Hafen – anders als hier am Westhafen, steht am Osthafen kaum ein schattenspendender Baum.

Aus Sicht der Initiative Zukunft Schierstein ist dieses Vorhaben vor allem unter klimatischen Aspekten für den Ortsteil und ganz Wiesbaden unvertretbar. Der gesamte Ortskern ist laut Klimafunktionskarte der Stadt Wiesbaden ein „Intensives innerstädtisches Überwärmungsgebiet mit eingeschränktem Luftaustausch“. Die von der SEG beauftragte Klimafolgenbetrachtung zu den Plänen der SEG kommt zu dem Schluss, dass die „thermischen Negativeffekte der geplanten Bebauung“ nicht völlig ausgeglichen werden können. Hinzu kommt, dass Schierstein laut der KLIMPRAX-Studie des Landes Hessen zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Ortsteilen in Wiesbaden gehört.

Klimafunktionskarte

Den Klimafolgebetrachtungen zum Bebauungsplanentwurf liegt unter anderem die Klimafunktionskarte von 2011 zugrunde. Inzwischen wurde die Klimafunktionskarte von 2017 veröffentlicht, die aber für die Bewertung der Flächen am Osthafen und des gesamten sogenannten Schiersteiner Tiefgebiets (Ortskern am Hafen) keine Änderungen aufweist. 

Quelle: Digitaler Landschaftsplan der Stadt Wiesbaden – Klimafunktionskarte 2017

Erkennbar handelt es sich sowohl bei den vom Bebauungsplan betroffenen Flächen im Osthafen als auch bei den westlich angrenzenden Wohngebieten sämtlich um „Intensives innerstädtisches Überwärmungsgebiet mit eingeschränktem Luftaustausch“. 

Klimabewertungskarte

Auch hinsichtlich der in der Klimafolgenbetrachtung genannten Klimabewertungskarte von 2011 hat sich in der neuen Version von 2017 nichts verändert.

Quelle: Digitaler Landschaftsplan der Stadt Wiesbaden – Klimabewertungskarte 2017

Bewertung im ÖKOPLANA-Gutachten 2017 und 2018, Seite 20:

„Die Ergebnisse der Lufttemperaturmessfahrten, der Thermalbildbefliegung vom 07.08.1988 04:31 – 05:39 Uhr und der Modellrechnungen lassen darauf schließen, dass sich der Planungsstandort  „Osthafen“ am Rand der Wärmeinsel „Schierstein“ befindet.

Dies spiegelt auch die zusammenfassende Klimafunktionskarte der Landeshauptstadt Wiesbaden wider. Demnach befindet sich der Planungsstandort am Rand eines intensiven innerstädtischen Überwärmungsgebiets. Während östlich des Hafenwegs mit den Brachflächen ein sog. Grünland-Klimatop mit potenzieller nächtlicher Kaltluftbildung anschließt, sind im Norden und Westen thermisch hochbelastete Siedlungsflächen gelegen. Der Schiersteiner Hafen zeigt bzgl. seiner Passivwirkung als Ventilationsfläche klimatische Positivwirkungen. Er leistet allerdings keinen aktiven Beitrag zur örtlichen nächtlichen Kaltluftbildung. 

Entsprechend sind in der Klimabewertungskarte der Landeshauptstadt Wiesbaden für das Planungsgebiet und dessen benachbarten Siedlungsbereiche gegensteuernde Maßnahmen in Form von Entsiegelungen und Begrünungsmaßnahmen gefordert. Baulichen Maßnahmen sind nur unter Beachtung von strengen Auflagen (zur Vermeidung einer verstärkten Wärmeinselbildung) vorstellbar.“

Das Gutachten benennt als Gegenmaßnahmen für die durch die Bebauung zu erwartenden „Negativeffekte“ vor allem die Verwendung heller Bodenbeläge und extensiver Dachbegrünung. Fazit des Gutachtens bleibt aber (Seite 31):

„Mit den o.a. Maßnahmen lassen sich in ihrer Summenwirkung die thermischen Negativeffekte der geplanten Bebauung reduzieren. Ein völliger Ausgleich erscheint jedoch auf den vorhandenen Flächen nicht möglich.“

Ersatzmaßnahme Kiesgrube Delkenheim

Auf Seite 92 der Begründung zum Bebauungsplanentwurf heißt es: 

„Wie die Bilanzierung nach der Hessischen Kompensationsverordnung zeigt, können die Eingriffe des Vorhabens nicht vollständig ausgeglichen werden. Es verbleibt ein Wertpunktedefizit in Höhe von 111.760 Wertpunkten. Mit der folgenden Ersatzmaßnahme soll das verbleibende Defizit ausgeglichen werden: Auf den Flächen der Kiesgrube Delkenheim wurden Maßnahmen zur naturschutzfachlichen Aufwertung durchgeführt. Teilbereiche dieser Maßnahme sind dem im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Osthafen, westlich des Hafenwegs“ verursachten Eingriff zugeordnet: Gemarkung Delkenheim; Flur 48, Flurstücke 15 und 16.“

Die negativen Auswirkungen in Schierstein sollen also durch Kompensationsmaßnahmen im 15 km entfernten Delkenheim ausgeglichen werden bzw. sind den dort ohnehin vorgenommenen „Aufwertungen“ „zugeordnet“. Damit lässt sich vielleicht auf das gesamte Stadtgebiet gesehen eine „Kompensation“ der Verschlechterung am Schiersteiner Hafen erreichen, für Schierstein selbst ändert sich an den negativen Folgen des Eingriffs (Bebauungsplan) nichts. 

KLIMPRAX-Studie 

Keinerlei Eingang in die Bewertung des Bebauungsplanentwurfs haben bisher die Ergebnisse des länderübergreifenden Projektes „Klimawandel in der Praxis – KLIMPRAX“ (HLNUG, 2019) (KLIMPRAX-Studie) gefunden. Die KLIMPRAX-Studie ermöglicht einen Blick auf die bereits in den Jahren 2031 bis 2060 anstehenden Auswirkungen des Klimawandels in den Modellregionen Wiesbaden/Mainz. Für den Planbereich am Osthafen und den gesamten Ortskern von Schierstein prognostiziert die Studie eine Zunahme der mittleren Anzahl der

  • Sommertage (plus 25 °C) um 23,6 auf 69,2
  • Heißen Tage (plus 30°C) um 13,2 bzw. 14 auf 23,6 bzw. 25,6
  • Tropennächte (plus 20 °C) um 16 auf 25

Öffentlich einsehbar sind diese Ergebnisse erst seit dem Frühjahr 2020 im digitalen Landschaftsplan Wiesbaden. Im „Textteil“ zu den dort dargestellten Karten, die auf der KLIMPRAX-Studie beruhen, heißt es:

„Die Sommer der letzten Jahre, mit langanhaltenden Hitzeperioden und Rekordtemperaturen, sind auch in Wiesbaden und der Region ein Phänomen, das sich tendenziell verstetigt. 

[…]

Für Wiesbaden lassen sich die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen: 

Es ist mit signifikanten Zunahmen der Sommertage, der Heißen Tage und der Tropennächte bis ins Jahr 2060 zu rechnen. 

Die Erwärmung wird im Rheintal stärker ausfallen als im Taunus. Ebenso wird sich die Erwärmung in den bebauten Bereichen stärker bemerkbar machen als in zusammenhängenden Gebieten ohne Bebauung. Das nährt die Annahme, dass es in den bereits bestehenden belasteten Gebieten der Städte und Stadtteile zu stärkeren Erwärmungen kommt als im Umland. Während die Zunahme der Tropennächte in den bebauten Lagen und entlang des Rheins am höchsten ist, nehmen sie in den waldfreien und unbebauten Bereichen der Täler am geringsten zu. D. h. die ausgleichende Wirkung dieser Leitbahnen und Korridore für die Zufuhr kühlerer Luft in die überhitzen Bereiche wird in Zukunft noch wichtiger werden. Örtlich muss von einer Verdreifachung der bioklimatischen Belastungen bis ins Jahr 2060 ausgegangen werden. 

Besonders betroffen sind ältere Menschen, Kleinkinder und Kranke. Es gibt aber fast keine Lebensbereiche, Infrastrukturen und Wirtschaftsbereiche die nicht betroffen wären. Daraus leitet sich vor allem ein Handlungsbedarf in den am stärksten betroffenen Siedlungsbereichen ab.“

Schierstein ist einer dieser „am stärksten betroffenen Siedlungsbereiche“, wie das Kartenmaterial zur Klimpraxstudie deutlich zeigt. Aus Sicht der Initiative Zukunft Schierstein besteht daher die große Sorge, dass die – ohne Einbeziehung der KLIMPRAX-Studie erstellten – Schlussfolgerungen zum Bebauungsplanentwurf für den Osthafen, zwar für die aktuell herrschenden klimatischen Bedingungen zutreffen mögen, aber das Ausmaß der zu erwartenden „Negativeffekte“ durch die hohe Bebauung und im Sondergebiet vorgesehene 90-prozentige Versiegelung in 10, 20, 30 Jahren schon in keiner Weise mehr vertretbar ist.

Auswirkungen weiterer Bauaktivitäten

Die Bewertung zum Bebauungsplan am Osthafen zieht darüber hinaus nicht in Betracht, dass an vielen weiteren Stellen in unmittelbarer Nähe des Plangebiets bzw. im stark überwärmten Schiersteiner Tiefgebiet Verdichtungen stattgefunden haben bzw. (mittelfristig) geplant sind und welche Auswirkungen diese zusätzlichen Maßnahmen auf das Plangebiet  bzw. im Zusammenhang betrachtet für das gesamte Mikroklima im Gebiet kurz oberhalb des Schiersteiner Hafens haben.

Vor allem das ehemalige Gelände der Knochenmühle, das sich im Osten direkt an das Plangebiet Osthafen anschließt und als potentiell aktives Kalt- und Frischluftentstehungsgebiet ausgewiesen ist, soll laut Rahmenplan der Stadt Wiesbaden von 2006 ebenfalls bebaut werden. 

Schiersteiner Hafen Ostteil Rahmenplan 2006 / Markierungen Zukunft Schierstein

Das im Flächennutzungsplan als „gewerbliche Baufläche“ ausgewiesene Gelände ist allerdings nicht im Besitz der Stadt, der jetzige Eigentümer wäre hier vermutlich gemäß § 34 BauGB ohne weiteres berechtigt, das Gelände zu bebauen gemäß der umliegenden Bebauung – also ebenfalls mit mehrstöckigen Gewerbegebäuden und starker Verdichtung.