Jedes Jahr im Advent putzen sich viele Häuser in Alt-Schierstein weihnachtlich heraus: mit Märchenbildern. Unten haben wir einige gesammelt und die jeweiligen Märchen dazu verlinkt. Doch auch die Märchenbilder selbst haben eine Geschichte, die Herbert G. Just für uns so erzählt:

“Vor ca. 30 Jahren hatte Marianne Klarmann die Idee, für sich und ihre Nachbarn Märchenfiguren herzustellen in ihrem Atelier in der Zehntenhofstraße. Sie begann mit Figuren der Gebrüder Grimm im engeren Lindenviertel. Mit der Zeit hatte fast jedes Haus ein eigenes Motiv. Später kamen dann Märchen von Hans Christian Andersen hinzu, vorwiegend im Bereich der Anglergasse. Frau Klarmann stellte die Figuren zum Materialpreis zur Verfügung.

Einige Anwohner haben in Eigeninitiative weitere “Märchenfiguren” aufgestellt, z.B. aus dem Dschungelbuch oder andere Walt Disney-Geschichten.

Viele Besucher erfreuen sich jedes Jahr in der Adventszeit an den Figuren und die Anwohner geben gerne Auskunft zu den weniger bekannten Märchen, z.B. König Drosselbart. Leider sind bereits einige Figuren verschwunden oder werden nicht mehr aufgehängt. “Die sieben Schwaben” fehlen seit Jahren an der Hafenschule. Schade drum.”

Aus alten Zeitungsberichten und im Gespräch mit verschiedenen Schiersteiner*innen konnten wir noch folgendes erfahren:

1989 war es, als Marianne Klarmann ihre Idee von den Märchenbildern in die Tat umsetzte. Seither hängen die Figuren vom 1. Advent bis Anfang des neuen Jahres an den Hauswänden. Die Idee hatte damals für soviel Begeisterung gesorgt, dass 1991 auch die Backfischgasse mit Bildern ausgestattet wurde – ausschließlich mit Figuren aus den Geschichten von Wilhelm Busch: Max und Moritz, Witwe Bolte oder Hans Huckebein. In der Anglergasse hingen Bilder aus den Märchen von Hans Christian Andersen.

Im Jahr 1999 erhielt dann auch das Schiersteiner Rathaus ein passendes Motiv: Die Schildbürger. Die sollen aber irgendwann vom Balkon des Rathauses gestürzt sein und wurden dann nie mehr gesehen.

Foto aus dem Wiesbadener Anzeiger vom 9.12.1999.

Bis zum Jahr 2004 hatte Marianne Klarmann mit tatkräftiger Unterstützung ihres Sohnes Thorsten 160 Holztafeln mit Märchenfiguren kreiert. Das kostete sie durchaus bis zu 35 Stunden Arbeit je Holzplatte. Manche davon wurden auf Bestellung sogar für Biebrich (Sterntaler), Bierstadt (Die sieben Zwerge) oder Rauenthal im Rheingau (Sandmann) angefertigt.

Viele Bewohner in Schierstein, die sich einst ein Märchenbild anfertigen ließen, leben heute nicht mehr in ihren Häusern, haben aber die Märchenbilder meistens dagelassen, denn – das weiß Tanja Schickel aus der Backfischgasse zu berichten – “Das Bild gehört zum Haus. Das kaufst Du mit!” Sie ist auch eine derjenigen, die zusammen mit ihrer Familie so ein “mitgekauftes Schild” heute noch jedes Jahr aufhängt und weihnachtlich dekoriert. Einige brechen aber mit der Tradition und lassen die Märchenbilder auf dem Dachboden oder in der Garage stehen. Manch beherzter ehemalige Eigentümer hat schon dafür gesorgt, dass sein Schild dann zumindest an ein Nachbarhaus gehängt werden konnte.

Mit den Märchenbildern hatte sich damals auch eine schöne Sitte entwickelt: Wie in einem älteren Zeitungsbericht zu lesen ist, besuchten zwei Frauen aus dem Lindenviertel am Heiligabend die Alleinstehenden in der Nachbarschaft und brachten den Älteren auch Plätzchen und Piccolo mit.

FROHE WEIHNACHTEN!