Mit einem Sachstandsbericht vom Juni 2021 beendet Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende den bereits im November 2018 angestoßenen Prozess zur ersten Bürgerbeteiligung in Wiesbaden, die auf einem Initiativantrag von Bürger*innen beruhte: Die Beteiligung zu einem „Masterplan lebenswertes Schierstein“ sei nicht realisierbar.

Fast drei Jahre hat es gedauert bis die Stadtverwaltung in einem von Oberbürgermeister Mende unterzeichneten Schreiben dem Masterplan lebenswertes Schierstein eine Absage erteilt. Und das nachdem zunächst alles dafür sprach, dass die Bürgerbeteiligung durchgeführt wird. Denn die Stadtverordnetenversammlung hatte dem Initiativantrag von Schiersteiner Bürger*innen am 23. Mai 2019 zugestimmt und in den Haushalt 2020/2021 für diese Bürgerbeteiligung pro Haushaltsjahr 50.000 Euro eingestellt.

Quelle: dein.wiesbaden.de. Im März und im Mai 2019 stimmten der Ausschuss für Bürgerbeteiligung, der Schiersteiner Ortsbeirat und schließlich die Stadtverordnetenversammlung einstimmig dafür, eine Bürgerbeteiligung zum Projekt “Masterplan lebenswertes Schierstein” durchzuführen.

Der Masterplan sollte ganzheitlich betrachten, wie sich die diversen Großprojekte in Schierstein – darunter die Schulneubauten und die Bebauung des Osthafens – in Summe auf die Lebensqualität und vor allem auch auf die Themen Umwelt, Klima, Parken und Verkehr in Schierstein auswirken. Dazu sollten die Auswirkungen der zusätzlichen Bebauung (Osthafen, Schulen) geprüft werden und übergreifende Lösungen dazu in die Planungen einfließen.

Die Probleme, die der Initiativantrag beleuchtet, seien „der Stadtverwaltung bekannt und nachvollziehbar“ schreibt der Oberbürgermeister in seinem Sachstandsbericht, der auf den 24. Juni 2021 datiert ist. Aber:

„Einen Masterplan Schierstein zu erstellen, der ausschließlich die Probleme eines Stadtteils beleuchtet und zu lösen versucht, die genauso in anderen Ortsteilen […] bestehen, steht der üblichen Verfahrensweise der Stadtverwaltung entgegen. Wesentliche Planungsprozesse, wie Verkehr und Bebauung, können nicht ausschließlich in einem Ortsteil betrachtet werden […]. Eine Umsetzung des Stadtverordnetenbeschlusses zum Initiativantrag ist seitens der Stadtverwaltung aus den aufgeführten Gründen nicht realisierbar.“

Warum hat es fast drei Jahre gedauert, bis die Stadtverwaltung zu dieser Erkenntnis kam? Immerhin gab es im Jahr 2019 eine Empfehlung der Stabsstelle für Bürgerbeteiligung (die direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt ist), diese Bürgerbeteiligung zum Masterplan Schierstein durchzuführen. In der Folge hatten der städtische Ausschuss für Bürgerbeteiligung, der Ortsbeirat Schierstein und dann auch die Stadtverordnetenversammmlung beschlossen, dass die Bürgerbeteiligung durchgeführt werden soll und dafür insgesamt 100.000 Euro bereitgestellt.

Auch auf Nachfragen von Zukunft Schierstein wurde bisher nie erklärt, die Bürgerbeteiligung sei “nicht realisierbar”. Noch am 19. November 2020 hatte Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende auf eine Anfrage der Initiative geantwortet:

Quelle: Schreiben des Oberbürgermeisters an Zukunft Schierstein vom 19. November 2020.

Einige Monate später stellten wir diese Nachfrage über das Beteiligungsportal dein.wiesbaden.de und erhielten diese Antwort:

Dass nun gar nichts mehr aus dem “Masterplan lebenswertes Schierstein” werden soll, hat die Initiative Zukunft Schierstein allerdings nicht aus dem Ortsbeirat erfahren, dem vier Vertreter der Initiative seit April 2021 angehören, sondern eher zufällig, weil Zukunft Schierstein mit einer Vertreterin an der öffentlichen Ausschusssitzung am 16. September 2021 teilgenommen hat, in der der Sachstandsbericht des Oberbürgermeisters  vom 24. Juni 2021 beraten wurde. Öffentlich einsehbar ist der Bericht erst seit dem 17. September 2021.

Zuvor hatte es keinerlei Gespräche mit den Initiatoren des Bürgerbeteiligungsantrags gegeben oder Hinweise darauf, dass der Antrag “nicht realisierbar” sein könnte.

Enttäuschend ist diese „späte Wendung“ vor allem auch deswegen, weil der Ortsbeirat Schierstein sich zum Thema Verkehr in einem einstimmig beschlossenen Antrag vom 16. Juni 2021 und einem gemeinsamen Antrag vom 8. September 2021 ausdrücklich auf die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung bezieht:

Auszug aus dem einstimmig vom Schiersteiner Ortsbeirat beschlossenen Antrag vom 16. Juni 2021:

Der Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden wird gebeten,als erstes Teilprojekt der bereits im Mai 2019 beschlossenen und im Haushalt 2020/2021 mit Mitteln ausgestatteten Bürgerbeteiligung „Masterplan lebenswertes Schierstein“ eine Bürgerbeteiligung zu den drängenden verkehrlichen Fragen (Park- und Parksuchverkehr,Rückstaus im Berufsverkehr, Gefahrenstellen etc.) über die Plattform dein.wiesbaden.de zu initiieren. Die Bürger*innen sollen eingeladen werden, aus ihrer Sicht verkehrlich neuralgische Punkte zu markieren und Ideen zur Verbesserung der Situation einzubringen.

Auszug aus dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen im Schiersteiner Ortsbeirat vom 8. September 2021:

Alle angesprochenen Maßnahmen (dauerhafte Einrichtung der jetzigen versuchsweisen Fußgängerzone, Erweiterung des Verkehrsversuchs Fußgängerzone, Prüfung von Maßnahmen zur Verringerung des Verkehrs durch Externe/Bewohnerparken) sollen unter Einbindung der Schiersteiner Bürgerinnen und Bürger entwickelt werden und nach Möglichkeit in das bereits am 16. Juni 2021 mit einstimmigem Ortsbeiratsbeschluss beantragte erste Teilprojekt „Verkehr“ der Bürgerbeteiligung „Masterplan lebenswertes Schierstein“ mit einfließen.

Im Ausschuss für Bürgerbeteiligung wurde am 16. September nun zumindest festgehalten, dass die Initiative gemeinsam mit dem Ortsbeirat Teilbereiche eruieren könne, für die eine Bürgerbeteiligung zu den im Initiativantrag angesprochenen Punkten durchführbar sein könnte. Ob diese Bürgerbeteiligung aber dann von der Stadt unterstützt wird, ist ungewiss.