Am 1. November tagten die beiden Ortsbeiräte Dotzheim und Schierstein gemeinsam zu einem einzigen Tagesordnungspunkt: Das Westfeld. Die Ortsbeiräte hatten bereits im Frühjahr diverse Fragen zu den Planungen der Stadt für diese Fläche gestellt. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende wollte diese nun in einer gemeinsamen Sitzung der beiden Ortsbeiräte Schierstein und Dotzheim am 1. November 2022 beantworten. Dazu erschien er gemeinsam mit einem ganzen Verwaltungstross und unterstützt durch das Planungsbüro INKEK. Den Schiersteiner Ortsbeirat haben die Ausführungen nicht überzeugt. Am Ende der Sitzung sprachen sich die Gremien in Beschlüssen (Schierstein: einstimmig, Dotzheim mit Stimmen aus allen Fraktionen, aber bei zwei Gegenstimmen) dafür aus, dass die Stadt Wiesbaden die Planungen zum Westfeld nicht weiter verfolgen soll.
Dieser Beitrag befasst sich mit folgenden Punkten:
- Nun doch weniger Bebauung wegen Klima: Nur noch 1.500 Wohneinheiten in der Planung
- Polizeistandorte nicht unbedingt im Westfeld
- Pläne für Gewerbegebiet bleiben trotzdem
- Bisher keine Ausgleichsflächen für Gartenbaubetriebe
- Böden mit teils höchstem „Funktionserfüllungsgrad“: Bodengüte ist Gegenstand der Abwägung
- Eigentumsverhältnisse und Grundstückstausch? Anwohner müssen mit „Umlegung“ rechnen
- Klimasensible Bebauung“ laut INKEK möglich
- Kaum Kaltluft am Freudenberg
- Verkehrsbelastung: Erhebliche Änderungen in der Infrastruktur nötig
- Nächste Schritte der Stadt: Änderung des Flächennutzungsplans
- Wie hoch ist der Wohnungsbedarf in Wiesbaden: Unterschiedliche Prognosen – aktuell Potenzial von 13.300 Wohneinheiten
- Ortsbeiräte bleiben skeptisch – Beschlüsse zur Beendigung der Planungen gefasst
Nun doch weniger Bebauung wegen Klima: Nur noch 1.500 Wohneinheiten in der Planung
Ein dominierendes Thema des Abends war die Art der Bebauung, die im Westfeld von der Stadt geprüft wird. Waren bisher aus dem „Integrierten Stadtentwicklungskonzept Wiesbaden 2030+“ immer 3.000 Wohneinheiten als Zielmarke zitiert worden, ruderte die Verwaltung jetzt zurück: „Es werden eher 1.500 Wohneinheiten“, räumte ein Vertreter des Stadtplanungsamts ein. In den nördlichen Bereichen des Westfelds werde man sicher über 4- bis 5-geschossige Wohngebäude nachdenken. Aber weiter südlich müsse die Dichte der Bebauung wegen des Klimas abnehmen. Es könne deshalb insgesamt nur 50 % der Fläche als Baufläche ausgewiesen werden.
Auf die Frage, warum im nördlichen Teil des Plangebiets, in dem bis zu 5-geschossige Bauten möglich sein sollen, ein Baufenster direkt in den Kaltluftabfluss entlang des Mosbachtals hineingezeichnet sei, sagte Kupski: „Der Kaltluftabluss überströmt an dieser Stelle die Gebäude.“ Ob dies tatsächlich der Fall ist, hätte durch Informationen zur genauen Kaltlufthöhe geklärt werden können, die gab es aber an diesem Abend nicht und wurden auch nicht weiter thematisiert.
Für Gewerbe- bzw. Behördenstandorte werde es auf eine Fläche von 19 bis 23 Hektar hinauslaufen. Auch dies hänge davon ab, wie hoch gebaut werden kann.
Polizeistandorte nicht unbedingt im Westfeld
Noch im Frühjahr hatte Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende den Wunsch geäußert, dass die Einrichtungen der Landespolizei, die jetzt bereits in Wiesbaden angesiedelt sind, an den Gewerbestandort im Westfeld ziehen. Offenbar getrieben von der Dringlichkeit, dass die Polizei relativ bald neue Standorte braucht, prüft die Stadt aber nun Alternativen zum Standort Westfeld. Explizit nannte Mende nur den Petersweg in Kastel.
Frank von der Au, als Referatsleiter im Innenministerium zuständig für die Landespolizei (LLP 5, Technik), räumte ein, dass grundsätzlich auch teilweise ein Verbleib der Einrichtungen der Landespolizei an den jetzigen Standorten möglich wäre, die Sanierung aber teurer würde als der Neubau. Es werde „der günstigste Fleck“ gesucht, an dem sich die Polizei neu ansiedeln könne. Das könnte auch in der „Peripherie“ sein – also außerhalb von Wiesbaden.
Mende ließ indes keinen Zweifel daran, dass er einen Abzug der Polizei aus Wiesbaden verhindern will. Ein „Letter of Intent“ mit der Absichtserklärung, der Landespolizei in Wiesbaden Flächen zur Verfügung zu stellen, sei bereits in der Vorbereitung.
Pläne für Gewerbegebiet bleiben trotzdem
Doch selbst, wenn die Polizei an einem anderen Standort als dem Westfeld unterkomme, bedeute das nicht, dass die Planungen, den südlichen Teil des Westfelds zum Gewerbegebiet zu machen, vom Tisch wären, wiederholte der Oberbürgermeister mehrmals. Dann könnte dort auch anderes Gewerbe angesiedelt werden.
Auf die Frage, ob auch die Gartenbaubetriebe als „Gewerbe“ angesehen, also auf den Flächen dort verbleiben könnten, antwortete ein Vertreter des Stadtplanungsamts, dies sei grundsätzlich möglich, aber dann greife eine „andere steuerliche Einordnung“ und eine andere Bewertung der Grundstücke. Vertieft wurde das Thema an dieser Stelle nicht.
Bisher keine Ausgleichsflächen für Gartenbaubetriebe
Klar ist aber auch, dass bislang keine Ausgleichsflächen für die betroffenen Gartenbaubetriebe in Rede stehen: „Wir haben keine konkreten Angebote hierzu gemacht“, sagte ein Vertreter des Stadtplanungsamts.
Böden mit teils höchstem „Funktionserfüllungsgrad“: Bodengüte ist Gegenstand der Abwägung
Ein Problem im Hinblick auf die Ausgleichsflächen dürfte auch die Bodengüte sein. Denn sämtliche Flächen im Westfeld sind mindestens als Böden mit hohem bis sehr hohem „Funktionserfüllungsgrad“ bzw. im südlichen Bereich des Westfelds als Böden mit dem höchsten „Funktionserfüllungsgrad“ in der „Bodenfunktionsbewertung“ eingeordnet (siehe den Beitrag der Aktionsgemeinschaft Westfeld erhalten! zu Landwirtschaft und Nahversorgung und den dort verlinkten Bodenviewer HLNUG). Dem widersprach die Verwaltung nicht: Das werde mitberücksichtigt werden müssen und sei dann Gegenstand der Abwägung, erläuterten ein Vertreter des Stadtplanungsamts und Mende.
Eigentumsverhältnisse und Grundstückstausch? Anwohner müssen mit „Umlegung“ rechnen
Außer den Gartenbaubetrieben sorgen sich auch die Anwohner in den Wohnhäusern ehemaliger Gärtnereien um ihre Zukunft: „Was geschieht mit den Wohngebäuden, die jetzt schon im Westfeld stehen?“
Man müsse sich „im Zuge der Umlegung ansehen“, wie mit den bestehenden Wohngebäuden umgegangen werden kann. Die hätten zunächst einmal Bestandsschutz, hieß es dazu aus der Verwaltung. Eine Enteignung oder eine Stadtentwicklungsmaßnahme wie am Ostfeld gebe es am Westfeld mit Sicherheit nicht, versicherte der Oberbürgermeister. Ziel sei grundsätzlich, sich im Rahmen einer Umlegung über die Grundstücke und Gebäude zu einigen. Die freiwillige Umlegung erfolge „über den Preis“. Wenn keine Einigung erzielt werden könne, greife die gesetzliche Umlegung, erläuterte ein Vertreter des Stadtplanungsamts. Was genau darunter zu verstehen ist, wurde in der Sitzung nicht klar.
Das Umlegungsverfahren ist in den Paragraphen 46 ff. Baugesetzbuch geregelt. Danach kann die Umlegung – also der Tausch von Grundstücken – angeordnet werden, wenn ein Bebauungsplan nicht ohne eine Neuordnung der Grundstücke zu verwirklichen ist und nicht zu erwarten ist, dass die Eigentümer ihre Grundstücke auf freiwilliger bzw. privatrechtlicher Basis entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes selbst umgestalten können oder wollen.
Dieses Verfahren dürfte insbesondere im Fall der vielen Einzelparzellen im Westfeld wahrscheinlich werden. Hier kann aufgrund der sehr schmalen Zuschnitte der meisten Grundstücke kaum ein einzelner Eigentümer allein im Rahmen eines evtl. demnächst gültigen Bebauungsplans tätig werden. „Da müssten sich schon mehrere zusammenschließen, wenn Eigentümer selbst entwickeln wollen“, antwortete ein Vertreter des Stadtplanungsamts auf eine entsprechende Frage. Andererseits könnten wenige Eigentümer aber die Pläne zur Umstrukturierung blockieren, wenn sie ihre Grundstücke nicht an die Stadt abgeben wollen. Hier könnte das Verfahren der „Umlegung“ der Stadt helfen, zusammenhängende Gebiete „freizuschaufeln“.
Klimasensible Bebauung“ laut INKEK möglich
Sebastian Kupski vom Institut für Klima- und Energiekonzepte (INKEK) stellte die Kaltluftanalyse seines Instituts zum Westfeld vor. Seine Karten beruhten auf Simulationsergebnissen, die über punktuelle Messungen validiert wurden. „Wir haben in der Mitte des Westfelds eine klimaaktive Fläche, die muss geschützt werden“ erläuterte er.
Eine klimasensible Bebauung des Westfelds sei dennoch möglich, wenn dazu Anpassungsstrategien auf städtebaulicher Ebene beachtet würden. Das betreffe zum Beispiel die Ausrichtung der Baufelder und Gebäude, die Integration von Stadtgrün und eine angepasste Dichte der Bebauung.
Freiräume und Grünverbindungen sollen der Kaltluftproduktion und als Klimabahnen dienen. Sogenannte „Pufferzonen“ zu den angrenzenden Gebieten von Sauerland und Freudenberg würden ebenfalls einer Überhitzung vorbeugen. Insgesamt gehe es aber vor allem darum, die Belüftung der neuen Bebauung im Westfeld zu sichern.
Die Wirkung auf andere Stadtteile sei eingeschränkt zu bewerten. Es gebe grundsätzlich nur einen lokalen Kaltluftabfluss, der durch die Fläche Westfeld erzeugt werde und nicht direkt im Siedlungsbereich Schierstein wirke, sondern im Gewerbegebiet Schierstein Ost Richtung BAB 643. „Wir können die Bebauung so optimieren, dass wir möglichst wenig Schäden verursachen“, schloss Kupski.
Zuvor hatte ein Vertreter des Stadtplanungsamts anhand einer Karte (unten auf der linken Seite abgebildet) die Ventilationsbahnen und Belüftungsachsen dargestellt, die an den geplanten Baufenstern vorbei weiterhin Luft transportieren sollen.
Links: Darstellung des Stadtplanungsamts zu den Belüftungsachsen. Rechts: Karte von INKEK Kaltluft drei Stunden nach Sonnenuntergan . (Quelle: Präsentation der Stadt Wiesbaden zur Sitzung am 1. November 2022)
Kaum Kaltluft am Freudenberg
Anhand der Darstellungen der Firma INKEK ließ sich aber auch erkennen, dass Schierstein Nord im kompletten besiedelten Bereich nördlich der Autobahn und auch der Dotzheimer Teil des Freudenbergs westlich der Schönaustraße sowie Teile des Schiersteiner Tiefgebiets, heute schon kaum oder sogar keine Kalt- und Frischluft erhalten.
Dieser Zustand lasse sich über das Westfeld aber ohnehin nicht lösen, hieß es aus der Verwaltung. Ideen zu einer städtebaulichen Lösung der anstehenden Klimabelastung für die bereits besiedelten Bereiche, die laut der Klimanalyse für Wiesbaden zu den Flächen mit sehr hohen bis hin zu extremen bioklimatischen Belastungen in der Zukunft zählen, gab es nicht.
Verkehrsbelastung: Erhebliche Änderungen in der Infrastruktur nötig
Um der steigenden Verkehrsbelastung durch die Bebauung entgegenzuwirken, müssten „an der Infrastruktur des Verkehrs erhebliche Änderungen“ vorgenommen werden, erläuterte ein Vertreter des Stadtplanungsamts. Die Erschließung solle hauptsächlich über Stichstraßen von der Schönau- und der Saarstraße aus erfolgen – ohne Durchfahrtsstraße durch das Westfeld. Eine Verbesserung des ÖPNV könne durch Expressbusse auf der Saarstraße und eine Aufwertung des Schiersteiner Bahnhofs inklusive Verlagerung des Bahnsteigs nach Osten in Richtung Saarstraße erreicht werden.
Nächste Schritte der Stadt: Änderung des Flächennutzungsplans
Nächster Schritt der Stadt Wiesbaden zum Westfeld wird die Aufstellung des Flächennutzungsplans 2040 sein, wie Oberbürgermeister Mende zu Beginn der Sitzung erläuterte. Die Beschlussfassung hierüber werde – wenn alles wie geplant laufe – 2026 stattfinden. Erst dann werde die neue Flächennutzung für Gewerbe und Wohnungsbau vorgegeben sein. „Dies wollen wir jetzt vorbereiten“, so Mende. Er ließ keinen Zweifel daran, dass für ihn vor allem die Wohnraumschaffung im Vordergrund stehe: „Wir sind Oberzentrum, Teil einer Region, in der erheblicher Wohnraumbedarf besteht. Als Oberzentrum haben wir an der Lösung mitzuwirken.“
Wie hoch ist der Wohnungsbedarf in Wiesbaden: Unterschiedliche Prognosen – aktuell Potenzial von 13.300 Wohneinheiten
Bis zum Jahr 2040 müssten insgesamt 26.000 Wohnungen geschaffen werden, was einem jährlichen Zuwachs von 1.200 Wohnungen entspreche, stützte sich die Verwaltung auf eine Prognose des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) von 2020, die bereits mit demselben Ergebnis 2017 vorgelegt wurde.
Die Stadt verwendet diese Prognose, obwohl das Amt für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik (heute: Amt für Statistik und Stadtforschung) der Landeshauptstadt Wiesbaden bereits im Dezember 2018 die „Aussagekraft der Expertise der IWU“ in einer Stellungnahme als beeinträchtigt und „die Ergebnisse als stark verzerrt“ bezeichnet. (Seite 1 der Stellungnahme). Stattdessen empfiehlt das Amt die Prognose der empirica AG (Zuwachs von 700 Wohnungen jährlich).
In seiner Stellungnahme zu den Wohnbedarfsschätzungen im Dezember 2018 zieht das Amt folgenden Schluss: „Als belastbare Planungsgrundlage für Politik und Verwaltung ist im Ergebnis lediglich die Ausarbeitung der empirica AG zu betrachten.“
Der vom Dezernat für Stadtentwicklung und Bau im Oktober 2021 vorgelegte Bericht zur „Wohnbauflächenentwicklung – Umsetzung der ermittelten Potenziale“ bescheinigt der Landeshauptstadt Wiesbaden ein „gutes Potential für die Wohnbauflächenentwicklung“ von 13.300 Wohneinheiten. Dies anhand konkreter Projekte, die zum Teil bereits in verschiedenen Stadien der Projektentwicklung sind (Perspektivfläche West (Westfeld) und Ostfeld sind nicht enthalten.).
Näheres zum Thema auch im Standpunkt Wohnraum der Aktionsgemeinschaft Westfeld erhalten!
Ortsbeiräte bleiben skeptisch – Beschlüsse zur Beendigung der Planungen gefasst
Die Ortsbeiräte Schierstein und Dotzheim überzeugten die Darstellungen der Verwaltung größtenteils nicht. Sie sprachen sich am Ende der Sitzung jeweils in ihren Gremien für eine Beendigung der Planungen zum Westfeld aus. In Schierstein wurde der Beschluss einstimmig getroffen. In Dotzheim wurde der Beschluss bei zwei Gegenstimmen mit Stimmen aus allen Fraktionen gefasst.