Die Stadtverordnetenversammlung tagte im Kurhaus Wiesbaden.

Die Stadtverordneten haben in ihrer Sitzung am 17. September 2020 um kurz nach 23 Uhr in namentlicher Abstimmung (siehe am Ende dieses Beitrags) mehrheitlich für den Bebauungsplan Osthafen votiert. Allerdings mit immerhin 19 Gegenstimmen und einer Enthaltung.

Einige Stadtverordnete waren gestern gar nicht anwesend – so zum Beispiel der Schiersteiner Eberhard Seidensticker – oder sind vor der Abstimmung gegangen, wie Aglaja Beyes, die seit ihrem Wechsel von Linke/Piraten zur SPD häufig an den Schiersteiner Ortsbeiratssitzungen teilnimmt. Wer den Bebauungsplan abgelehnt hat, steht am Ende dieses Beitrags.

Als einer der ersten Redner sprach Christian Bachmann (FW/BLW). Er wies darauf hin, dass der Ortsbeirat den Bebauungsplan ablehne und setzte sich dafür ein, diese Ablehnung nicht zu ignorieren: “Damit zeigen Sie ein weiteres Mal, was die Voten der Ortsbeiräte Ihnen wert sind.” Politik könne nur von unten nach oben, also über Ortsbeiräte und Bürgerinitiativen, funktionieren. “Leider mussten wir hier häufig das Gegenteil erleben und es wird nach Gutsherrenart von oben nach unten regiert.”

Auch Brigitte Forßbohm (L&P) teilte die Kritik des Ortsbeirats und der Initiative Zukunft Schierstein: “Selten kommt es vor, dass sich ein Ortsbeirat so deutlich gegen ein Bauvorhaben stellt.” Das Vorgehen der Kooperationsfraktionen CDU, SPD und Grüne sei dagegen “paradox”, wies Forßbohm auf die Kombination aus “Ja zum Bebauungsplan” und “Einschränkung durch Gesellschafterbeschluss der SEG” hin. Sie zweifelte auch den rechtlichen Bestand dieser Verknüpfung von Bebauungsplan und Gesellschafterbeschluss an. Eine Bürgerbeteiligung sei in diesem Fall unbedingt anzuraten, wenn für die Stadt Wiesbaden die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger noch irgendeine Rolle spiele. Linke/Piraten beantragten darum die Vertagung des Beschlusses über den Bebauungsplan und die Zurückverweisung in den Ortsbeirat.

Urban Egert (SPD) ging auf seine Doppelstellung als Ortsbeiratsmitglied und Stadtverordneter ein und verwies darauf, dass er immer die übergeordneten Interessen der Stadt berücksichtige, aber die könne er hier nicht sehen. Der einschränkende Antrag der Kooperationskoalition zum Bebauungsplan sei nur eine “kosmetische Maßnahme”. Er kündigte daher an, bei seiner Ablehnung des Bebauungsplans bleiben zu wollen.

Alexander Winkelmann (FDP) stellte darauf ab, dass das Gelände am Osthafen entwickelt werden müsse, um die Gewerbesteuer da nicht zu gefährden. Der große Steuerzahler (Schufa) müsse gehalten werden. Er könne sich eine Vertagung der Entscheidung, wie sie von Linke/Piraten beantragt wurde, nur vorstellen, wenn sich das nicht auf den Verbleib der Schufa in Wiesbaden auswirke. Hierzu wolle er den Baudezernenten Kessler hören.

Baudezernent Hans-Martin Kessler antworte darauf, dass es mindestens zwei Jahre dauern würde, um einen neuen Beschluss zu erwirken. Der Bauträger für die Schufa habe aber schon den fertigen Bauantrag in der Schublade und werde ihn wahrscheinlich nächste Woche stellen. Außerdem sei es wegen des Vertrags mit Fischer-Chemie nicht möglich im Plangebiet eine öffentliche Grünfläche zu entwickeln, schlug Kessler in die gleiche Kerbe wie schon in der Ortsbeiratssitzung am 19. August 2020 der SEG-Vertreter Michael Frank. In der Ortsbeiratssitzung hatte Walter Richters (Grüne) direkt darüber aufgeklärt, dass diese Aussage nicht für das ganze Plangebiet stimme. Im Sondergebiet 3 – also auf dem östlichsten Teil der Fläche – gibt es keine Beschränkungen durch den Vertrag mit Fischer Chemie, darum könnte dort eine Grünfläche, ein Spielplatz, ein Café entwickelt werden. In der Stadtverordnetenversammlung wurde die Aussage von Stadtrat Kessler über die Nutzungsmöglichkeiten allerdings nicht mehr korrigiert.

Kessler wies außerdem darauf hin, dass Schierstein an dieser Stelle einen “Beitrag für den Wirtschaftsstandort Wiesbaden” leisten müsse. Dafür würde sich dann ja auch die Aufenthaltsqualität dort für die Schiersteiner Bürger verbessern. “Die Brache dort finden die wenigsten toll”, äußerte er sich zum derzeit leeren Gelände am Osthafen. Außerdem werde sich auch die Durchwegung zum Hafen verbessern – er ging allerdings nicht darauf ein, von wo aus die Durchwegung sichergestellt wird (Rheingaustraße und/oder Storchenallee/Kormoraneweg) und äußerte sich auch nicht zu der vom Ortsbeirat geforderten Barrierefreiheit.

Hendrik Schmehl (SPD) stellte heraus, dass es immer wieder fraglich sei, wie man mit Nachverdichtung umgehe, aber an der Stelle würde er sagen: “Eher ein bisschen mehr.”

Axel Hagenmüller (Grüne) wies darauf hin, dass hier über ein Naherholungsgebiet entschieden werde, für das die Klimabewertungskarte Entsiegelung vorsieht. Die Konstruktion, mit einem Gesellschafterbeschluss das Ausschöpfen eines Bebauungsplans verhindern zu wollen, nannte er “schlecht”: “Dann erstellen Sie doch einfach einen entsprechenden Bebauungsplan”, forderte er.

Zum Schluss meldete sich nochmals Urban Egert und ging auf die Historie des Hafens als Industrie und Gewerbegebiet ein: “Diese Historie bedeutet ja nicht, dass wir es in Zukunft wieder falsch machen müssen.” Außerdem verwies er darauf, dass die Stadtverordnetenversammlung bereits im Dezember 2019 einen Beschluss des Schiersteiner Ortsbeirats gegen den vorzeitigen Verkauf des Geländes neben der Schufa ignoriert hatte. “Heute wird wieder Druck ausgeübt über die Schufa.”

Alexander Winkelmann konstatierte für die FDP, dass einer “dreijährigen Verzögerung” (Kessler hatte von zwei Jahren gesprochen) nicht zugestimmt werden könne. “Das ist für uns zu lang”, darum werde die FDP heute für den Bebauungsplan stimmen.

Wie Kessler zu der Angabe zwei Jahre und Winkelmann dann später zu drei Jahren kam, wurde nicht diskutiert und nicht in Frage gestellt. Für die Initiative Zukunft Schierstein sind diese Zeitangaben nicht nachvollziehbar. Immerhin sind die Pläne schon geschrieben und müssten nur noch im Sinne des Ortsbeiratsvotums angepasst werden, wenn die städtischen Vertreter sich danach richten wollten. Alle Träger der öffentlichen Belange hatten bereits ihre Stellungnahmen abgegeben. Die müssten auch nicht komplett neu geschrieben, sondern nur angepasst werden. Die erneute öffentliche Auslegung nimmt gesetzlich vorgeschrieben einen einzigen Monat in Anspruch. Zukunft Schierstein geht daher davon aus, dass ein halbes Jahr ausreichen würde, für die “Schleife” der Erstellung und Verabschiedung eines neuen Bebauungsplans. Ob genau dieses halbe Jahr manchen Stadtverordneten aber zu lang ist, weil in der Zwischenzeit die Kommunalwahlen im März 2021 stattfinden und sich dann Mehrheitsverhältnisse ändern könnten, ist nur eine Vermutung.

Die Namen der Stadtverordneten die GEGEN den Bebauungsplan Osthafen gestimmt haben – hier in alphabetischer Reihenfolge:

Bachmann, Christian

Bohrer, Hartmut

Coigné, Mechthilde

Egert, Urban

Forßbohm, Brigitte

Groth, Jens

Hagenmüller, Axel

Hörhammer, Heinz

Küpper, Konstanze

Lork, Dr. Klaus-Dieter

Maritzen, Ronny

Müller, Dr. Eckhard

Offermanns, Ralf

Preinl, Thomas

Schuchalter-Eicke, Gabriele

Schulz, Dimitri

Seldenreich, Denis

Sobek, Jörg

von Seemen, Ingo

Eine Enthaltung: Becht, Monika