Schon in ihrer nächsten Sitzung am 2. April 2025 um 18 Uhr sollen die Stadtverordneten darüber entscheiden, ob die Planungen zur Sanierung der Erich Kästner-Schule (EKS) an ihrem jetzigen Standort beendet werden und die Schule in den nächsten Jahren in das denkmalgeschützte Rheingau-Palais an der Söhnleinstraße umziehen soll. In mehreren eilig einberufenen Sondersitzungen werden nun die Weichen dafür gestellt – gleichermaßen im Schweinsgalopp. Der Schiersteiner Ortsbeirat befasst sich schon am Montag, 24. März 2025, um 19 Uhr mit dem Thema. Am 2. April 2025 tagt dann der Schulausschuss um 15 Uhr unmittelbar vor der Stadtverordnetenversammlung und gibt sein endgültiges Votum ab. Wie das ausfallen wird, zeichnete sich schon bei der Schulausschusssitzung am 20. März 2025 ab.

Jetzt geht’s auf einmal hoppla hopp. Erst Mitte Januar 2025 hat der Schiersteiner Ortsbeirat über den kompletten Ausstieg aus der Planung zur EKS am jetzigen Standort erfahren und schon am 2. April 2025 entscheidet darüber die Stadtverordnetenversammlung. Das ist flott angesichts der teils sogar mehrjährigen Wartezeiten, die der Ortsbeirat hinsichtlich der Beantwortung und Bearbeitung seiner Anträge hinnehmen muss. Auch flott angesichts der nun inzwischen gut zehn Jahre andauernden Planungen zur Sanierung der EKS, die zwischendurch auch immer mal wieder ganz auf Eis lagen. Der teils desolate räumliche Zustand der Schule war offenbar lange kein Grund zur Eile.

Nun scheint ein vermeintliches Schnäppchen für das ungewohnte Tempo zu sorgen: Das seit Ende 2023 zum Verkauf stehende Rheingau-Palais. Ein sogenannter „letter of intent“ – eine Absichtserklärung zwischen dem privaten Verkäufer des Rheingau-Palais und der Stadt, ins Geschäft zu kommen – erhöht den Druck zusätzlich. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Werbeschild im Elektrofachhandel: „Nur noch heute 20 Prozent auf alles!“ Ja, dann muss man natürlich den 98-Zoll Flachbildschirmfernseher kaufen (den bisher keiner wollte), auch wenn er gar nicht ins Wohnzimmer passt.

Ob das Rheingau-Palais als Hülle für eine zeitgemäße Haupt- und Realschule passt, daran dürften zumindest erhebliche Zweifel bestehen. Viel Zeit sich mit dieser Frage und möglichen Einsparpotenzialen bei Sanierung und Neubau der EKS an ihrem jetzigen Standort zu beschäftigen, bleibt allerdings nicht.

Dabei wäre etwas mehr Ruhe in Sachen Rheingau-Palais durchaus möglich gewesen. So berichtete der Schuldezernent Dr. Hendrik Schmehl in der Schulausschusssitzung am 20. März 2025, dass er bereits sieben Monate zuvor, am 19. August 2024, darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass der bis dahin in Leistungsphase 2 geplante Neubau der EKS am jetzigen Standort statt zunächst geplanten 100 Mio. Euro nun 150 Mio. Euro kosten werde. Grund dafür: unter anderem allgemeine Kostensteigerungen, die Planung einer Vier- statt einer Dreifeldsporthalle und eine größere Stadtteilbibliothek. Das dadurch ebenfalls deutlich größere Gesamtprojekt EKS müsste wegen der einzuhaltenden Bauhöhenbeschränkungen in die Tiefe gelegt werden – sprich z.B. die Turnhalle teils unter der Geländeoberfläche gebaut werden. Auch das verursache erhebliche Mehrkosten.

Im Anschluss an die Hiobsbotschaft von den explodierenden Kosten wurde nochmal geprüft, ob die EKS auf ein ganz anderes Grundstück ausweichen oder sich auf den Spielplatz Söhnleinanlage ausdehnen könne, berichtete Schmehl in der Schulausschusssitzung am 20. März 2025. Aber der Spielplatz sei ein alter Friedhof und daher auch ein Kostenrisiko, dass sich bei Grabungen ergeben könnte. Und nun kam die Wiesbadener Stadtentwicklunsgesellschaft SEG ins Spiel. Die unterbreitete die Idee, das Rheingaupalais zu erwerben, das bereits seit Ende 2023 zum Verkauf steht.

Der Ortsbeirat Schierstein wurde übrigens zu diesem Zeitpunkt  (also im Spätsommer 2024) weder über die Kostensteigerungen, noch über die Option Rheingau Palais informiert – und auch die betroffene Schule nicht.

Doch hinter den Kulissen gab es Bewegung, wie Dezernent Schmehl berichtete:

  • Am 18. Oktober 2024 nahm der Schuldezernent mit der SEG an einer Begehung des Rheingau-Palais teil, um sich einen Eindruck zu verschaffen.
  • Am 23. Oktober 2024 beauftragte das Schuldezernat eine Flächenstudie (Kostenpunkt ca. 11.000 Euro), in der nachgewiesen wurde, dass das Raumprogramm der EKS rein bzgl. der im Rheingau-Palais vorhandenen Flächen abgebildet werden könnte.
  • Am 24. November 2024 wurde dem Schuldezernenten dieses Ergebnis der Flächenstudie präsentiert.
  • Am 10. Dezember 2024 informierte der Schuldezernent den Schulleiter über den Vorgang. Dieser habe „seine Ablehnung sehr deutlich kommuniziert. Aber ich kann nicht ignorieren, dass es eventuell eine Möglichkeit gibt, die Kosten um 50 Mio. Euro zu reduzieren“, erläuterte Schmehl in der Schulausschusssitzung.
  • Der Ortsbeirat wurde erst Mitte Januar informiert – also fünf Monate nachdem bekannt war, dass die Kosten aus dem Ruder laufen.

Dirk Mlaka, Schulleiter der Erich Kästner-Schule wurde in der Sitzung des Schulausschusses die Möglichkeit eingeräumt, sich als „sachkundiger Bürger“ selbst zu den neuen Plänen des Schuldezernenten zu äußern. Er stellte klar: „Niemand ist auf die Schule zugekommen, um Einsparpotenziale zu diskutieren.“ Aus seiner Sicht sei jede Einsparung besser, als eine „Flurschule“. Dass mit der Option Rheingau-Palaus aber genau eine solche sogenannte „Flurschule“, mit aneinandergereihten Klassenzimmern, weiten Wegen und ohne Gemeinschaftsflächen unausweichlich wird, blieb im Ausschuss unwidersprochen.

Mlaka stellte die Nachteile heraus: Das Rheingau-Palais werde im Inneren keinerlei Fläche für den Aufenthalt der Schüler bieten. Die zwingend notwendige Ganztagstauglichkeit und auch kooperatives Lernen seien in einer solchen Schule nicht möglich. Die Investition in das Rheingau-Palais binde zudem die Mittel für Schulbau auf Jahrzehnte. Das bedeute, dass sich an dieser Schule dann auch nichts mehr ändern lasse auf absehbare Zeit. Damit sei auch zum Beispiel der Weg hin zu einer Umnutzung als Gesamtschule mit deutlich anderen räumlichen Anforderungen dauerhaft verbaut.

Mlaka stellte darum klar und deutlich heraus, dass die Schule bereit sei, Einsparungen in bedeutender Größenordnung, sprich auch bei den zur Verfügung stehenden Flächen und Räumlichkeiten, bei den Planungen am jetzigen Standort zu akzeptieren. Doch weder der Schuldezernent noch die Ausschussmitglieder gingen auf dieses Angebot ein. Daran änderte auch Mlakas Befürchtung nichts, dass die komplett neuen Planungen wieder Zeitverzögerungen von mehreren Jahren bedeuten könnten. Schon zweimal hat der Schulleiter sich mit der EKS in konkreten Planungsphasen befunden. Beim ersten Mal scheiterte die Planung, einen gemeinsamen „Campus“ mit der Hafenschule zu errichten. Die zweite Planung, die aktuell vor dem Aus steht, dauert schon seit Ende 2021 an. Drei bis vier Jahre, so die Schätzung von Mlaka, würden also auch alleine schon für die neue Planung, die Schule im Rheingau-Palais unterzubringen, ins Land gehen. Der Prozess, bis das Rheingau-Palais nutzbar wäre, könne insgesamt acht bis zehn Jahre in Anspruch nehmen.

Mlakas Ausführungen wurden im Schulausschuss wohlwollend aufgenommen, änderten aber nichts an der Grundhaltung der meisten Ausschussmitglieder: Die Zwänge seien eben so, dass es keine andere Möglichkeit gebe, als aus den jetzigen Planungen auszusteigen. Einzig die CDU meldete zaghaft Bedenken an. Schuldezernent Schmehl positionierte sich klar für die Variante Rheingau-Palais und appellierte an die Ausschussmitglieder: „Sie sind nicht nur dieser, sondern auch allen anderen Schulen gegenüber verantwortlich.“

In der Kooperation aus SPD, Grünen, Linken und Volt scheint es schon beschlossene Sache zu sein: Die Planungen am jetzigen Standort sind beendet. Die Schule soll ins Rheingau-Palais. Selbst wenn es einzelne Kritiker in den Kooperationsfraktionen geben sollte, werden auch die sich wohl dem vermeintlichen Zwang beugen müssen, dass die Kooperation in solchen Fragen mit einer Stimme sprechen muss. Die Beratung im Schiersteiner Ortsbeirat am 24. März 2025 wird damit für die Entscheidungsfindung der Stadtverordneten zur Makulatur.