100.000 Euro für beschlossenes Bürgerbeteiligungsverfahren in Schierstein bleiben bisher ungenutzt – Stadtverordnete sollen Weg für Überarbeitung der Osthafen-Pläne frei machen
Eine “neue Beteiligungskultur” verspricht die Stadt Wiesbaden auf ihrer Webseite “dein.wiesbaden.de”. Und doch hat sie kein glückliches Händchen, wenn es darum geht, ihre Bürgerinnen und Bürger von Großprojekten zu überzeugen. Citybahn, Ostfeld und auch die Bebauung mit Verwaltungsgebäuden und Büros am Schiersteiner Hafen lassen die Wellen hochschlagen. Die Folge ist zunehmender Verdruss. Aber auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Politik, in dem sich viele Menschen in Wiesbaden durch die negativen Schlagzeilen rund um den ehemaligen Oberbürgermeister Sven Gerich noch bestätigt fühlen. Das Gefühl, eine Polit-Elite entscheide über die Köpfe ihrer Wählerinnen und Wähler hinweg, wird immer stärker. Dabei wäre es doch so einfach die Kluft zwischen „die da oben“ und „wir hier unten“ zu schließen.
„Vollfinanzierte“ Bürgerbeteiligung liegt seit Monaten in der Schublade
Echte, auch von den politisch Verantwortlichen vorangetriebene Bürgerbeteiligung wäre ein Weg zum „Miteinander“ statt der bisher häufig beschrittenen Pfade „gegeneinander“.
Das Instrument dazu hat die Stadt in Sachen Osthafen schon seit fast einem Jahr (vollfinanziert!) in der Schublade. Es ist die Bürgerbeteiligung „Masterplan Schierstein“.
„Masterplan Schierstein“ soll Bauplanungen im Ort in größeren Zusammenhang stellen
Die Initiatoren der BI Zukunft Schierstein haben bereits 2018 einen Initiativantrag auf Bürgerbeteiligung bei der Stadt eingebracht. Dieser Antrag ist der bisher erste und einzige Initiativantrag auf Bürgerbeteiligung, dem die Stadtverordneten zugestimmt haben. Es sollte ein „Masterplan Schierstein“ erstellt werden, der die Bauplanungen im Ort in einen größeren Zusammenhang stellt und vor allen Dingen auch die klimatischen Negativ-Effekte weiterer Versiegelung in Betracht zieht. Ausdrücklich genannt ist in der von den Stadtverordneten im Mai 2019 beschlossenen Bürgerbeteiligung die zusätzliche Bebauung mit Büros im Osten des Hafens.
Insgesamt 100.000 Euro stehen für die Durchführung dieser Bürgerbeteiligung im aktuellen Doppelhaushalt 2020/2021 der Stadt Wiesbaden zur Verfügung. Aber passiert ist hierzu bisher von Seiten der Stadt nichts.
Warum nutzt die Stadt nicht diese pro Haushaltsjahr 2020 und 2021 festgelegten je 50.000 Euro, um ein gutes Konzept für den Osthafen gemeinsam mit den Menschen in Schierstein und ganz Wiesbaden zu entwickeln?
Stadtverordnete müssten Weg für Überarbeitung der Baupläne freimachen
Spätestens jetzt, da auch der Schiersteiner Ortsbeirat sein unmissverständliches „Nein“ zu den aktuellen Bebauungsplänen geäußert hat, sollten die Stadtverordneten sich ebenfalls gegen die Pläne aussprechen und damit den Weg frei machen für eine Überarbeitung der Pläne. Das erfordert nicht einmal, die Entwicklung des Osthafens grundsätzlich in Frage zu stellen. Es wäre nur ein längst überfälliges Zeichen, dass die berechtigten Bedenken der Menschen vor Ort ernst genommen werden. Diese Zeit sollte sich die Politik für ein derart umstrittenes Projekt wie die Osthafenbebauung nehmen, wenn sie damit verhindern kann, die Menschen vor Ort auf Jahrzehnte hinweg zu verprellen: Erstens, weil gegen ihren Willen auf eine Art und Weise verdichtet wird, die selbst der Ortsbeirat ablehnt, und zweitens, weil angekündigte und von den Stadtverordneten beschlossene Bürgerbeteiligungsinstrumente nicht zum Einsatz kommen.
Wenn der Beschluss für diesen Bebauungsplan fällt, ist die Frustration groß
Fest steht: Politik, Verwaltung und SEG werden die Menschen in Schierstein nicht mehr von den jetzigen Plänen überzeugen können. Wenn der Beschluss für diesen Bebauungsplan fällt, ist die Frustration groß. Jeder Investor, der sich – dann ganz mit Recht – im Rahmen dieser Pläne am Schiersteiner Hafen ansiedeln will, wird die Ablehnung vermutlich doppelt und dreifach zu spüren bekommen. Das sind schlechte Voraussetzungen für die von der SEG angestrebte Vermarktung.
Missverständnisse ausschließen
Viel besser wäre es doch, die Menschen „abzuholen“, mit einzubinden, von Notwendigkeiten zu überzeugen, aber auch auf Bedenken angemessen zu reagieren. Das setzt natürlich auch den offenen und ehrlichen Umgang beider Seiten mit Tatsachen voraus. Unschön sind Missverständnisse wie zum Beispiel jüngst im Ortsbeirat Schierstein: Der Vertreter der Grünen, Axel Wolf, äußerte, genau in Erinnerung zu haben, dass die SEG dem Ortsbeirat zwei barrierefreie Wege durch das Plangebiet Osthafen zugesagt hatte. Der Vertreter der SEG entgegnete, es sei immer nur von einem barrierefreien Weg die Rede gewesen. Wie kann ein solches Missverständnis gerade bei diesen für die einzelnen Parteien elementaren Fragen entstehen?
Ähnlich erging es der CDU Schierstein, deren Fraktionssprecher Wilhelm Vogel vor wenigen Tagen in einem Facebook-Post festhielt, das ein seinerseits bereits 2018 geäußerter Einwand zum Bauvorhaben im Verfahren ungehört blieb: „Bereits bei der Vorstellung des Projektes im Ortsbeirat im Jahre 2018 hatten wir unsere Bedenken bezüglich des 8-geschossigen Gebäudes geäußert. Daraufhin hatte der Geschäftsführer der SEG Herr Stöcklin den Ortsbeiratsmitgliedern mitgeteilt: Ob die Bebauung später exakt so aussehen wird ist noch völlig offen! Im weiteren Verlauf mussten wir aber erkennen, dass zumindest, unsere gravierendsten Bedenken betreffend, keine wesentliche Änderung erkennbar war.“
“Zukunft Schierstein” investiert aus rein privaten Mitteln in Bürgerinformation
Die Initiative Zukunft Schierstein hat bis zum jetzigen Zeitpunkt mehrere hundert Euro aus rein privaten Mitteln ausgegeben für die Information der Bürgerinnen und Bürger über die Bauvorhaben in Schierstein. Davon wurden im Verlauf der vergangenen anderthalb Jahre bislang fünf verschiedene Flyer und Postkarten gedruckt, die an ca. 4.000 Haushalte in Schierstein verteilt wurden. Davon hat die Initiative auch zwei Infoveranstaltungen durchgeführt zum „Masterplan Schierstein“. Unzählige Stunden ehrenamtlicher Arbeit kamen hinzu. Nun wird es Zeit, die bewilligten Gelder für eine von Seiten der Stadt durchgeführte Bürgerbeteiligung sinnvoll einzusetzen.